Freiheit

Juni 2019

Juni2019

1) Freiheit (frei nach Thomas Hobbes):
Freiheit ist Unabhängigkeit von äußerlichen Zwängen. Frei ist, wer tun kann, was er will, und daran von anderen nicht gehindert wird.
2) Freiheit (frei nach Immanuel Kant):
Man kann in seiner Freiheit nicht nur von außen und durch andere, sondern auch von innen und durch sich selbst eingeschränkt sein. Unfrei handelt danach auch, wer stets allen Eingebungen des Augenblicks und ausschließlich seinen jeweils spontanen Antrieben folgt.

Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.
Perikles

Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.
Benjamin Franklin

Nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.
Dietrich Bonhoeffer

So weit deine Selbstbeherrschung geht, so weit geht deine Freiheit.
Marie von Ebner-Eschenbach


Liebe Besucher,

in diesem Monat ist alles ein klein wenig anders.
Das Thema für Juni lautet „Freiheit“. Ihr könnt also wie gewohnt lesen, was unseren Autorinnen und Autoren dazu eingefallen ist.
Wenn es sich um einen Text handelt, der mit dem Thema nichts gemein zu haben scheint, dann hat sich die/der Schreibende die Freiheit genommen, etwas online zu stellen, was sie/er hier gerne veröffentlich möchte.

In jedem Fall wünschen wir viel Lesevergnügen
Euer Team vom „Café Poetenstube“


Elternliebe

Wie viele Male hängte ich ihre Meinung
in eine Baumkrone,
damit der Wind hindurch blies.
Staubkörner fielen zu Boden,
und in Löchern
fingen sich Pusteblumensamen.

Nachts pflückte ich alte Worte,
barfuß,
ging durch Dornen,
da Mutter Rosen pflanzte,
als ich noch schillernd Hoffnung strahlte.

Trugbilder, auf denen ich weilte.
Vor langer Zeit legte sie die Ansichten
in ein Boot,
das sie tief in mich hinein sandte.
Heute ruht es auf trockenem Grund,
nicht imstande auszulaufen.
Ihr Mund spie Asche
in mein Haar hinauf,
dass mich das Grau durch alle Tage trug,

und ich dem Schiff aus Angst
vor mir,

vor ihr,

an einem
kalten Herbstabend
das Wasser abgrub.

<© Sigune Schnabel>


Belohnt

Aufgewärmter Sonnengruß, Schlüpft in wohlig Abendkuss.
Begleitet diese Schönheit gar groß und wild und weit.
Ragen pralle Knospen hervor, das hier und jetzt singt ins Ohr.
Dankbar der alten Situation,
die Gegenwart verlangt Konzentration,
in der Zukunft umarmt dich Liebe – dein Lohn.

<© Xenia Hügel>


nach Vorschrift

ich bin ein kreiselndes Geschöpf
am Toten Punkt
jenseits der Jetztzeit
die Uhren beben
und laufen ab
nur für mich

das Transistorradio verkündet
meinen Einschlag auf den Mond
und im Dorf
haben sie es ja schon immer gewußt
die Massen versammeln sich am Horizont
jedoch sehen meine verklebten Augen
nur den Würgereiz ihrer Gesichter
im Stall stopfen sie mir trockenes Heu
ins freche Maul
reglos ertrag ich die Fütterung
nach Vorschrift des Führers
im Graben
ist die Strömung zum Erliegen gekommen
und das Denken
dort liegt die Freiheit im nassen Sarg

ich falle quer hinein
dieser Bruch wird nicht verheilen
ein scharfer Schatten
schneidet meinen falschen Mut
das Transsistorradio verkündet
meine Läuterung

<© Harald Kappel>


Lauschangriff

Sagt IHNEN
Was wir nicht hören
Was wir nicht sehen

Von dem wir wissen
Die uns verfolgen
Die uns richten

Die roten Roben legten Zeugnis ab

Sollte sie uns doch gehören
Die Sphäre
Hierzulande

Sagt IHNEN
SIE sind frei

<© Sabine Fenner>


zweiklang

über jede ferne hinweg
mich in deinem lächeln spiegeln

schwebend und leicht

meine blicke durch die jahre
in deine augen schicken

sanft und zärtlich

mit meinen lippen
deine falten glätten

stimmlos und schön

im traum dich flüstern hören
von einer uralten liebe

weich und warm

im zweiklang den atem spüren
auf immer noch brennender haut

mutig und frei

die angst zur seite schieben
über dich und mich hinaus

herz an herz

dem leben nachschauen
bis an das ende unserer zeit

<© Jörg Zschocke>


.

Ist ein Verstehen im Kosmos, wenn Schönheit ist
mit der Form, die Ordnungen formuliert, sehen
wir nicht, wie Organisches sich organisiert
und Leben durch sich selbst informiert,
was notwendig ist? Die Freiheit, das
einzusehen, könnte dem Verstehen
entsprechen, das dem Lebendigen
innewohnt. Entfernen wir uns
aber vom glühenden Kern?

<© Barbara Hampel>


frei willig

eine liebe lang
ist mehr
als ein leben
oder zwei
grad östlich
deiner lippen
frei, frei und willig sei
mir immer zugeneigt
auf böen, seen
im auge des mondes
zwinkernd und weise
pole finden
suchen
in jedem staubkorn
quadratisch oder warm
dieses sehnen
perlend schwarz
und über all
gnadenlos

<© Diana Jahr>


Alkyonischer Morgen

Uralte Bäume wurzeln
unter wärmendem Licht.
Grünsilberkronen ziehen
meiner Tage Gewicht
und das der wachen Nächte
voller Fragen in ihre weiten Schirme.
Fortgetragen ist,
was mich lange quält
und nach Antworten drängt.
Es weitet sich der Atem,
steigt frei, unangestrengt.

Ich bin hinausgegangen
bis zum Olivenhain.
Hab einen Weg gefunden –
den tief in mich hinein.

<© Elke Kaminsky>


freiheit

wer freiheit schreit
unterdrückt andere
immer wieder
diese hoffnungsvolle falle

<© Gabriele Pflug>


Hautbegraben

Verstecke deine Sünden
unter meiner Haut
Dort wird man sie nicht finden
zwischen all den Narben
begraben in Geheimnissen
Überlasse dir Wahrheit
und Unschuld zum atmen

<© I.J. Melodia>


koordinaten

geschreddert stufen flure lieder parolen
erinnern fest ummantelt ungeknackt
im staub des schulhofs
hätt ich mich selbst gesprengt so weit
trug mein wurf hier begann
hier endete das jahr hier riefen sie mich auf
und grüne wiesen waren rot über die
liefen hundert gänse

ließ die engen mauern im kirchturm vor mir
lag ein meer ich hielt das rad
mein schiff nahm kurs ich war der typ am steuer

<© Kathrin Külow>


Gitterstäbe

kleiner Vogel
schien
gefangen
wollte
seine
Freiheit nicht

hinter
Stäben
auszuharren
dachte er
wär
seine
Pflicht

<© Barbara M. Hauser>


Zurück zur ersten Liebe

Am Meer höre ich Möwenrauschen und Meereskreischen.
Die Flut war schneller da, als man sie kommen sah.
Zurück bleiben Treibholz, Müll und niedergerissene Häuser.
Trümmer in meinem Herzen.
Ein Wolkenturm nach dem Sonnenschein.
Ich blicke um mich – und ich bin allein.

So laufe ich auf Scherben durch den weichen Sand.
Doch das war der Punkt, als ich zu leben begann.

Leben.
Leben ist nicht immer schön, nicht immer grün,
nicht immer Meeresrauschen und Möwenkreischen.
Leben ist der Segen in Einsamkeit,
ist die Gnade während Bitterkeit.
Leben ist der Hoffnungssamen, beinahe vom Zweifel erstickt.
Leben ist – ich will es nicht.
Leben ist Geborgenheit im Untergang.
Nicht bewahrt vorm großen Fall, doch während diesem.
Leben ist ein Wendepunkt, nach dem Wundenpunkt
zum Wunder und zurück zur ersten Liebe.

Liebe.
Liebe wartet ausgestreckt, unbefleckt, nicht entdeckt.
Liebe ist leise, eine lange Reise, sieht mich an.
Dort, an diesem Ort, wo mein Leben entstand.
Und das ist was zählt.

Es zählte nicht, als sie sagten, ich sei ein Unfall,
habe sie ins Unglück gestürzt.
Nackt, in ein Handtuch gewickelt, schreiend am Straßenrand,
wo man mich schließlich in einer Grube fand.
Sie nannten mich einen Kämpfer, ein Wunder, Survivor.

Nach dem Wundenpunkt zum Wunder und zurück zur ersten Liebe.
Dort, an diesem Ort, wo mein Leben entstand.

Am Meer höre ich Möwenrauschen und Meereskreischen.
Ich blicke um mich und sehe Schönheit in Vergänglichkeit.
Trümmern für neue Häuser.

So laufe ich am Strand entlang, zwischen all den Scherben.
Denn auch in ihnen bricht sich das Licht – leuchtet in tausend Farben.
Es ist der Ort, an dem ich neu zu leben begann
und die erste Liebe meine Augen wiederfand.

Zurück zur ersten Liebe –
Dort, an diesem Ort, wo mein Leben entstand.
Und das ist was zählt!

<© Julie Greiner>


Partituren

Das Königreich meiner Worte zerfällt
sobald die ersten Verse gekrönt wurden.

Es zerfällt zu Staub wie alles, das zuvor
Zikaden in ihren Liedern beglaubigt haben.

Auch deine Versprechen sind längst Asche…
Partituren, die zwischen der Doppelseite

deines Mundes an Wahrheit und Feuer
verloren haben.

Nur die Sprache deiner Augen, so gläsern
wie das Innere eines blauen Himmels

lässt eine Zeile frei für das Wort
HOFFNUNG.

<© Marina Maggio>

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. zauberadmin sagt:

    wunderschöne gedichte!
    und danke, dass du dir jedes mal diese mühe machst, sie lesenden zukommen zu lassen!
    liebe grüße
    gabriele

  2. Jul sagt:

    Danke, Jörg, für deine Liebe, die du in dieses virtuelle Fleckchen steckst, das immer wieder neu zum Verweilen einlädt :-)!
    Danke, liebe Schreiberlinge, dass ihr immer wieder eure Worte und Gedanken mit uns teilt!

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