Harald Kappel

Ich habe das (sehr empfehlenswerte!) Buch „all over heimat“ soeben vom Postboten entgegen genommen. Ich überprüfe kurz die Haptik, um es dann mit beiden Händen ziemlich in der Mitte aufzuschlagen. Ich lande bei Harald Kappel und lese „Unterm Wasser“. Das Gedicht gefällt mir. Auch das nächste Texlein mag ich.

Mal schauen, ob der Mann bei Facebook ist. – Ist er! Ein freundliches, offenes Gesicht und noch mehr schöne Texte. Der Mann passt in die Poetenstube, denke ich noch …
<JZ>

Was Harald über sich sagt:

Das bin ja ich

hinter der trüben Scheibe
am eingebildeten Schreibtisch
döst ein Mensch
ahnungslos
das bin ich
außerhalb
im gar nicht so fernen Dunkel
unter der defekten Laterne
beraten sie
neuerdings fremdgeliebt
über mein Schicksal
Wellen voller Wut
mit salzigem Gewicht
sind die Ouvertüre
zur Sintflut
als sie kommt
schwimme ich vorwärts
durch das Glas
mühelos
auf der Treppe
zur Arche
belehren mich die dummen Tiere
das Wasser
sagen sie
das bist du

Weiß nicht

hier komme ich
in der einsamen Nacht
mit schönen Schritten
lebendig
aus der Erde
ich ertaste die dumpfe Schwerkraft
unsichtbar
blüht sie
wie ein zäher Sumpf
im Herzen
unter dem Druck seiner Rohre
mache ich ins Bett
im Krieg erlauben sie uns das
und unter dem Gipsverband
wartet der nächste Sommer
auf seine Zecken
gerade jetzt soll ich leben
aber warum
weiß ich nicht
ich
ich bin doch nur ein Bettler
aus der Erde
der nach Liebe bettelt
und ein Laugenstück erhält
der den Weg
durch die Schwerkraft
zu den Kloaken kennt
und in Euch
dankbare Krisen auslöst
gerade jetzt soll ich leben
aber warum
weiß ich nicht

Melisma

beim Abschied
trägt dein müder Duft Federn in den Regen
sie füllen meine Tränensäcke
randvoll mit Sehnsucht
und
als das Schiff Fahrt aufnimmt
kantilliere ich leise
aus meinem Notizbuch
Psalmen und Suren
buchstabiere die Mißverständnisse
bis meine Augen heulen
verschütte unsichtbaren Nebel zwischen uns
suche in der Funkbude
ein randvolles Gefäß
voller Signale
und
während in der Kombüse
der Einheitsbrei zusammengerührt wird
morse ich kreischend laut vom Eselshaupt
labyrinthäre Verse
die keiner versteht
und
als meine Zungen
durch das Schalltrauma kollabieren
führt mich ein hübscher Lotse
zu den stummen Fischen
ihr Schweigen
trägt dein Einverständnis
beim Abschied

Tageskarte

in besonderer Absicht
servieren sie
stumm
auf feinem Papier
eine peinliche Aufzählung
der peinigenden Dinge
der aparte Versuch
in besonderer Absicht
größtmögliche Fremdheit auszudrücken
sprachlos
lasse ich die Vermischungen zu
denn
gerade heute entspricht
die Ärmlichkeit eines Tages
der Ärmlichkeit meines Lebens
schwach ausgeliefert
lasse ich die Vermutungen zu
tatsächlich
in besonderer Absicht
bin ich
nicht böse drum
hungrig
bestelle ich
das Menü


Harald Kappel bei Facebook